In der Geschichte der Literatur haben sich verschiedene Textformen, sogenannte Genres, herausgebildet. Man kann sie in Klein- und Großformen unterscheiden. Die wichtigste dieser Formen ist der Roman.
Kurzgeschichte
Die Kurzgeschichte, englisch shortstory, hat sich im deutschen Sprachraum erst Mitte des 20. Jahrhunderts etabliert. Es handelt sich dabei um eine kurze Prosa-Erzählung mit linearem, straffem Handlungsverlauf, die in medias res beginnt und offen endet, alltägliche Themen behandelt und sich auf eine bestimmte, problematische Situation konzentriert.
Eine wichtige Grundregel der Kurzgeschichte lautet Show, don’t tell.
Novelle
Die Vorläuferin der Kurzgeschichte ist die Novelle. Goethe definierte das Merkmale der Gattung als »eine sich ereignete unerhörte Begebenheit«. In dieser Definition schwingt der Ursprung des Wortes mit: So bedeutet das italienische Wort novella »kleine Neuigkeit« (zu lat.: novus, novellus = neu). Im Zentrum einer Novelle steht also eine Begebenheit, die einerseits im Wesen realistisch ist oder wenigstens realistisch erscheint (»sich ereignete Begebenheit«), die aber andererseits eine Pointe, eine überraschende Wendung, beinhaltet (»unerhörte Begebenheit«).
Die Geschichte der Novelle beginnt mit Giovanni Boccaccios (1313–1375) Il Decamerone, einer Sammlung von Novellen, die durch eine erzählerische Rahmensituation zusammengehalten werden. Seither hat sich die Bezeichnung als literarisches Genre etabliert.
Neben den beiden definierenden Grundbestandteilen des Realistischen und Unerhörten, die in Goethes Begriffsbestimmung enthalten sind, können für die Novelle folgende weiteren Merkmale festgehalten werden:
- Kürze (vgl. novella = kleine Neuigkeit): in der Regel nicht länger als 100 Seiten
- zielgerichtete, auf die Darstellung, Entfaltung und Lösung des Konflikts ausgerichtete Erzählstruktur (keine Nebenhandlungen) – deshalb im Aufbau dem Drama vergleichbar (Storm nannte die Novelle »die Schwester des Dramas«)
- Unberechenbarkeit der Handlung: überraschende Wendungen
- pointenhafter Schluss, die bisweilen vorweggenommen wird (z.B. Kleist Die Marquise von O.)
- bisweilen eingebunden in gesellschaftliche Erzählsituation (Rahmenhandlung eines Novellenzyklus)
- Unterhaltung, oft verbunden mit belehrendem Anspruch
- wichtige Rolle von Leitmotiven und Dingsymbolen, die oft den Wendepunkt herbeiführen
Das Dingsymbol einer Novelle nennt man den »Falken«. Benannt ist dieses Motiv nach Bocciaccios Falkennovelle. Darin geht es um einen Ritter, der seine Geliebte so aufwändig umwirbt, dass er am Ende gänzlich verarmt ist und ihr bei deren Besuch nur seines letztes, kostbarstes Gut zum Essen anbieten kann: seinen kurzerhand geschlachteten Falken. Als sie die Hintergründe seiner Tat erfährt, beschließt sie, ihn zu heiraten.