Wir schrieben also vom Krieg, von der Heimkehr und dem, was wir im Krieg gesehen hatten und bei der Heimkehr vorfanden: von Trümmern.
Heinrich Böll: »Bekenntnis zur Trümmerliteratur« (Aufsatz, 1952)
Die Nachkriegsliteratur bezeichnet die Epoche nach 1945, in der die deutsche Literatur an einem Nullpunkt steht. Die aus dem Krieg oder dem Exil heimkehrenden Autor/innen beschreiben die materielle und ideologische Trümmerlandschaft, die sie im geteilten Deutschland vorfinden. Die Texte sind realistisch und unbeschönigt, die Sprache grenzt sich ab von der Blut-und-Boden-Rhetorik des Nationalsozialismus und vom Jargon des einsetzenden Wirtschaftswunders.
Epochenbezeichnung
Der Name »Nachkriegsliteratur« für die Epoche nach dem 2. Weltkrieg ist selbsterklärend. Alternativ wird sie als Trümmerliteratur bezeichnet, weil große Teile Europas und Deutschlands in Trümmern liegen. Bekannt wird diese Bezeichnung insbesondere durch Heinrich Bölls »Bekenntnis zur Trümmerliteratur« (1952), in dem er den Begriff positiv wertet. Daneben nennt er zwei gleichbedeutende Ausdrücke: »Kriegs-, Heimkehrer- und Trümmerliteratur«. Außerdem beschwört Wolfgang Weyrauch im Nachwort seiner Kurzgeschichten-Anthologie »Tausend Gramm« (1949) den »Kahlschlag«, den die Literatur im ideologischen Dickicht der Zeit anrichten soll.
Zeitgeschichte
8. Mai 1945, 23:01 Uhr – die bedingungslose Kapitulation der deutschen Truppen ist die Stunde Null der deutschen Geschichte. Der Wiederaufbau ist gleichzeitig ein radikaler Neuanfang. Europa gleicht einem Trümmerhaufen: 55 Millionen Menschen sind tot, 30 Millionen ohne Heimat, 35 Millionen verwundet. Insbesondere Deutschland ist nach der Bombardierung der Städte schwer getroffen. Der Alltag der Menschen ist von Hunger, Krankheiten, Wohnungsnot, Kälte, Kriminalität und Prostitution gekennzeichnet, der Aufwand für den Wiederaufbau entsprechend groß. Zur materiellen Not kommt die geistig-moralische, die Schwierigkeit, die Kriegsschuld angemessen zu verarbeiten und eine tragfähige Basis für das neue Leben zu finden.
Die Blockbildung erschwert die Orientierung zusätzlich: Deutschland wird in vier Besatzungszonen unterteilt, drei westliche und eine östliche, die einander bald feindlich gegenüberstehen. Während sich in den westlichen Zonen eine soziale Markwirtschaft installiert, ist die östliche von Planwirtschaft nach sowjetischem Muster geprägt. Die Spannungen im Rahmen des Kalten Krieges zwischen den beiden Blöcken nehmen zu und so kommt es 1949 zur Gründung von zwei deutschen Nachfolgestaaten, der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. In der DDR geht zwar die Säuberung des Staatswesens von faschistischen Kräften schneller voran als in der BRD, dafür ist die wirtschaftliche Entwicklung unter dem Diktat der UdSSR bedeutend langsamer. Mit kräftiger Unterstützung der US-Regierung setzt in der jungen Bundesrepublik bald eine wirtschaftliche Blütezeit ein, ein Wirtschaftswunder, das ungeahnte Konsummöglichkeiten verspricht. Ob dieser paradiesischen Zustände werden die Kriegsschuld und die Tatsache, dass ehemalige Nazi-Verbrecher bald wieder wichtige Posten in Staat und Wirtschaft bekleiden, gern verdrängt. Die Innovationen im wirtschaftlichen Bereich stehen dabei in offenem Widerspruch zur restaurativen Politik des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1949-1963). In diesem Widerspruch liegt die Keimzelle für die studentischen und terroristischen Widerstandsbewegungen der Sechziger- und Siebzigerjahre.
Literaturepoche
Zahlreiche namhafte Autorinnen und Autoren leben während der Nazi-Herrschaft als Flüchtlinge im Exil. Die jüngeren, etwa Wolfgang Borchert, Günter Eich oder Günter Grass, sind erst als Soldaten im Krieg, danach in Gefangenschaft. Einer von ihnen, Heinrich Böll, beschreibt seine Generation treffend als eine, die sich nun »in einer merk- und denkwürdigen Situation befand: sie kehrte heim«. Allerdings ist es eine Heimkehr in die Fremde. Was sie antreffen, ist ein materieller und lebensanschaulicher Trümmerhaufen. »Wir fanden Trümmer«, so Böll, »und schrieben darüber«. Nicht nur das Leben, auch die Literatur ist an einem Nullpunkt angelangt. In dieser Situation definiert der bundesdeutsche Lyriker Wolfgang Weyrauch die Aufgabe der Schriftsteller als die eines Försters, der im »literarischen Dickicht« einen heilsamen »Kahlschlag« herbeiführen soll:
Die Kahlschlägler fangen in Sprache, Substanz und Konzeption von vorne an, sie wissen, […] dass dem neuen Anfang der Prosa in unserem Land allein die Methode und die Intention des Pioniers angemessen sind. Die Methode der Bestandsaufnahme. Die Intention der Wahrheit. Beides um den Preis der Poesie.
Nicht mehr Schönheit zählt, sondern Wahrheit, nicht mehr poetische Ergüsse, sondern eine prosaische Inventur der Gegenwart. »Inventur«, so ist denn auch ein programmatisches Gedicht Günter Eichs überschrieben, in dem ein Soldat seine wenigen Habseligkeiten der Reihe nach aufzählt. So verschreibt sich die Trümmerliteratur einem unbarmherzigen Realismus. Die Sprache ist bewusst von holzschnittartiger Einfachheit, Formexperimente werden abgelehnt, Prosatexte bevorzugt. Zwar gehen nicht alle so weit wie der Philosoph und Literaturtheoretiker Theodor W. Adorno, der 1949 das Ende der traditionellen Lyrik verkündet: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch«. Gleichwohl sind es in erster Linie epische Texte, die der Literatur nach dem Krieg ihren Stempel aufdrücken. Doch statt großer Epochenromane, für die angesichts der zeitgeschichtlichen Umwälzungen die Übersicht fehlt, entstehen v.a. Erzählungen und Kurzgeschichten. Name und Genre der letzteren werden ebenso aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum übernommen wie die berühmten Vorbilder. In ihrer Verständlichkeit und Kürze, der Beschränkung auf durchschnittliche Menschen und alltägliche Situationen ist sie besonders geeignet für die Situation nach dem Krieg. Fast alle namhaften Autor/innen der deutschen Nachkriegsliteratur versuchen sich in dieser Gattung, am eindrücklichsten Wolfgang Borchert, Wolfdietrich Schnurre und Ilse Aichinger.
Daneben etabliert sich eine andere, neue Gattung: das Hörspiel. Das moderne Medium ist schnell erfolgreich und läuft dem Theater und dem Kino, deren zerstörte Infrastruktur noch nicht wieder aufgebaut ist, anfänglich den Rang ab. So haben Borcherts »Draußen vor der Tür«, Günter Eichs »Träume«, Ilse Aichingers »Knöpfe« oder Ingeborg Bachmanns »Der gute Gott von Manhattan« fast den Status von Straßenfegern. Zusammen mit den meisten anderen bedeutenden Autoren ihrer Zeit gehören die drei Letztgenannten zur Gruppe 47 an, einer losen Vereinigung engagierter Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Die nach ihrem Gründungsjahr benannte Bewegung trifft sich jährlich, um sich ihre Texte vorzustellen, und wendet sich dabei gegen restaurative Tendenzen in Politik, Gesellschaft und Literatur.
In der Lyrik sind zwei innovative Tendenzen zu beobachten: Das Hermetische Gedicht (Paul Celan, Ingeborg Bachmann) entzieht sich in der Komplexität seiner Bildsprache einer eindeutigen Interpretation. Die Konkrete Poesie (Ernst Jandl) beinhaltet das oft witzige Spiel mit dem konkreten Sprachmaterial jenseits aller Bedeutung.
Die zeitgleich in der DDR entstehende Literatur ist staatstragend. Die Exilanten, etwa Bertolt Brecht oder Anna Seghers, werden anfangs mit offenen Armen empfangen. Im Rahmen der sog. Aufbauliteratur sollen sie mithelfen, jenes Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen, das für den Aufbau des sozialistischen Staates notwendig ist. Das Programm des sozialistischen Realismus sieht vor, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit anhand von Identifikationsfiguren (›Helden der Arbeit‹) in allgemein verständlicher und positiver Weise dargestellt wird. Literatur, die nicht diesem Programm gehorcht, wird behindert oder verboten.
Merkmale
Form
- Genres:
- epische Kurztexte, besonders Kurzgeschichten
- Hörspiel
- Form weniger wichtig als Inhalt, klare Aussagen
- Realismus
- Lakonische, neutrale Sprache
- kurze Satzgebilde mit wenig Nebensätzen
- einfaches Vokabular, viele Wiederholungen
- Beschränkung des Raums, der Erzählzeit und der Figuren
Inhalt
- Schwermütige, depressive, pessimistische Grundstimmung
- Aufarbeitung der Kriegserlebnisse bzw. der Heimkehr aus dem Krieg
- existenzielle menschliche Probleme wie Hunger, Neid, Angst und kleine, scheinbar unbedeutende Dinge
- Thematisierung der Kriegsschuld
- Theodizee (warum lässt Gott so etwas Böses wie den 2. Weltkrieg zu?)
- im Mittelpunkt isolierte, heimatlose Figuren, z.B. Kriegsheimkehrer, die nicht mehr gebraucht werden
Epochenübergang
Die Nachkriegsliteratur knüpft insofern an die Exilliteratur an, als sie den Inhalt über die Form stellt und dabei konsequent antifaschistisch ist. Ebenfalls gemeinsam ist den literarischen Epochen, dass die Epik grundsätzlich wichtiger ist als die beiden anderen Gattungen.
Das Schreiben in der DDR ist jenem im 3. Reich insofern vergleichbar, als beide Literaturen unter den erschwerten Bedingungen einer Diktatur geschehen. Die Unterdrückung dissidenter Stimmen wird im Lauf der Zeit immer gewaltsamer.
Merkwürdiges
Die Gruppe 47 ist ein einzigartiges Phänomen in der Literaturgeschichte. Ihr Prinzip ist einfach: Autor/innen lesen ihre Texte vor und werden spontan von Ihresgleichen kritisiert, ohne sich rechtfertigen zu dürfen. Die Bedeutung der losen Vereinigung für die deutsche Nachkriegsliteratur ist umstritten. Zwar sind in ihr – mit Ausnahme allzu konservativer und progressiver Literaten – die meisten namhaften Autorinnen und Autoren der Zeit vertreten. Gleichwohl steht sie bisweilen unter Beschuss von links (»Papiertiger«) und rechts (»geheime Reichsschriftumskammer«). Das Geheimnis ihrer 20jährigen Erfolgsgeschichte hat Hans Magnus Enzensberger 1962 folgendermaßen zu ergründen versucht:
Die Gruppe 47 hat, das weiß ich nur allzu gut, keine Anstecknadel. Sie hat, traurig genug, keinen Ehrenpräsidenten, keinen geschäftsführenden Vorsitzenden, keinen Schriftführer und keinen Kassenwart. Sie hat keine Mitglieder. Sie hat kein Postscheckkonto. Sie steht nicht im Vereinsregister. Sie hat keinen Sitz und keine Satzungen. Kein Ausländer kann ermessen, was das bedeutet in einem Land, wo noch der professionelle Massenmord ohne Aktennotizen nicht betrieben werden kann und wo sogar der Anarchismus seine Anhänger mit Hilfe einer sauber geführten Mitgliederkartei ‚erfasst‘. Es kann nur zweierlei bedeuten: die Gruppe 47 ist entweder eine Legende, oder – weit schlimmer! – sie ist eine Clique.
Autor: Wolfgang Borchert
1921-1947, Hamburg, Deutschland
Wichtige Werke:
- »Das Brot« (Kurzgeschichte, 1946)
- »An diesem Dienstag« (Kurzgeschichte, 1947)
- »Nachts schlafen die Ratten doch« (Kurzgeschichte, 1947)
- »Draußen vor der Tür« (Drama, 1947)
Leben
Wolfgang Borchert wird 1921 in Hamburg als Sohn einer Schriftstellerin und eines Volksschullehrers geboren. Sowohl die Oberrealschule wie die danach begonnene Lehre als Buchhändler bricht er ab, um Schauspieler zu werden. Nach bestandener Prüfung und kurzem Engagement wird er 1941 in den Wehrdienst und kurz danach an die russische Front berufen. Die Zeit als Soldat beschreibt Borchert in seiner Selbstbiografie so:
Von Juni 1941 bis April 1945 war ich Soldat. Ich bin verwundet worden, habe Erfrierungen gehabt und ich habe in Rußland eine Art Gelbsucht bekommen, die bis heute andauert. Als Soldat habe ich zwei Freiheitsstrafen von zusammen 17 Monaten verbüßt wegen Zersetzung der Wehrkraft und wegen Angriffen auf Partei, Staat und Wehrmacht. 1942 wurde gegen mich die Todesstrafe beantragt.
Im Frühling 1945 gelingt es ihm, aus der französischen Kriegsgefangenschaft zu fliehen und nach einem Gewaltmarsch von 600 Kilometern nach Hamburg zurückzukehren. Seine Versuche, nach dem Krieg wieder als Schauspieler tätig zu sein, scheitern an seinem Gesundheitszustand, der ihn ab Ende 1945 ans Krankenbett fesselt. Innerhalb weniger Monate entsteht so sein Gesamtwerk von knapp 50 Kurzgeschichten und zahlreichen Gedichten. Gar innerhalb von nur acht Tagen verfasst er sein letztes Werk, das Drama »Draußen vor der Tür«, das erst als Hörspiel, dann als Theaterstück zu einem gefeierten Werk der Epoche wird. Einen Tag vor der Uraufführung in Hamburg stirbt der Sechsundzwanzigjährige in Basel.
Werk: »Draußen vor der Tür« (Drama, 1947)
Beckmann, ein Kriegsrückkehrer aus Russland, erfährt bei seiner Heimkunft, dass seine Frau bereits einen anderen hat. In seiner Verzweiflung geht er ins Wasser. Die personifizierte Elbe aber wirft ihn zurück ins Leben, so dass er den Neubeginn wagen muss. Nacheinander besucht er verschiedene Menschen und wird immer wieder zurückgestoßen: Eine Frau, die er kennenlernt, ist bereits verheiratet; sein Vorgesetzter aus dem Krieg will die Verantwortung für einen blutigen Einsatz nicht übernehmen; und der Kabarettdirektor möchte den sarkastischen Künstler Beckmann nicht einstellen. Als dieser von einer Nachbarin erfährt, dass seine Eltern Selbstmord begangen haben, sieht er im Leben keinen Sinn mehr. Kurz vor seinem endgültigen Suizid lässt er noch einmal alle Figuren Revue passieren.
Textstelle I
DER ANDERE. Vornamen hast du wohl nicht, Neinsager? [1]
BECKMANN. Nein. Seit gestern. Seit gestern heiße ich nur noch Beckmann. Einfach Beckmann. So wie der Tisch Tisch heißt. [2]
DER ANDERE. Wer sagt Tisch zu dir?
BECKMANN. Meine Frau. Nein, die, die meine Frau war. [3] Ich war nämlich drei Jahre lang weg. In Russland. Und gestern kam ich wieder nach Hause. [4] Das war das Unglück. Drei Jahre sind viel, weißt du. Beckmann – sagte meine Frau zu mir. Einfach nur Beckmann. Und dabei war man drei Jahre weg. [5] Beckmann sagte sie, wie man zu einem Tisch Tisch sagt. Möbelstück Beckmann. [6] Stell es weg, das Möbelstück Beckmann. Siehst du, deswegen habe ich keinen Vornamen mehr, verstehst du. [7]
- Der Pessimismus der Epoche zeigt sich darin, dass Beckmanns Gegenüber ihn einen »Neinsager« nennt.
- Borchert verwendet sehr kurze, parataktisch aneinandergereihte Hauptsätze und Ellipsen. Charakteristisch sind die vielen Wiederholungen.
- Menschliche Beziehungen werden als unzuverlässig dargestellt.
- Die Rückkehr aus dem Krieg in Russland wird thematisiert.
- Die Rückkehrer treffen eine Welt an, mit der sie nicht mehr zurechtkommen und die nicht mehr mit ihnen zurechtkommt.
- In der Bezeichnung »Möbelstück Beckmann« zeigt sich der Sinn für Sarkasmus.
- In der Rückversicherung kann die Bemühung der Nachkriegsliteratur um Verständlichkeit, größtmögliche Eingängigkeit gesehen werden.
Textstelle II
FRAU KRAMER (mehr gutmütig als gemein) [1]. Entnazifiziert. Das sagen wir so, wissen Sie. Das ist so ein Privatausdruck von uns. [2] Ja, die alten Herrschaften von Ihnen hatten nicht mehr die rechte Lust. Einen Morgen lagen sie steif und blau in der Küche. So was Dummes, sagt mein Alter, von dem Gas hätten wir einen ganzen Monat kochen können. [3]
BECKMANN (leise). Ich halte es nicht aus! Ich halte es nicht aus! Ich halte es nicht aus! [4]
DER ANDERE. Doch, Beckmann, doch! Man hält das aus. […]
BECKMANN. Sei still. Das Leben ist so: 1. Akt: Grauer Himmel. [5] Es wird einem weh getan. 2. Akt: Grauer Himmel. Man tut wieder weh. [6] 3. Akt: Es wird dunkel und es regnet. 4. Akt: Es ist noch dunkel. Man sieht die Tür. 5. Akt: Es ist Nacht, tiefe Nacht, und die Tür ist zu. Man steht draußen. Draußen vor der Tür. [7]
- Borchert benennt durch die Regieanweisung die ganz gewöhnliche Boshaftigkeit der Menschen.
- Im Jargonausdruck »sich entnazifizieren« für Suizid zeigt sich die sträfliche Nachlässigkeit im Umgang mit der eigenen Kriegsschuld.
- In der Gleichgültigkeit, mit der der Nachbar den Selbstmord kommentiert, deutet sich die Unmenschlichkeit der Nachkriegsgesellschaft an. Durch den Verweis auf das Gas wird der Kommentar noch zynischer.
- Die dreimalige Wiederholung desselben Satzes ist charakteristisch für den gesteigerten Ausdruckswillen.
- Düstere Stimmungen prägen die Szenerien der Trümmerliteratur.
- Das menschliche Leben wird als ein archaischer Kampf um Auge um Auge, Zahn um Zahn dargestellt.
- Mit der verschlossenen Tür wird nicht nur eine ideelle Heimatlosigkeit angedeutet, sondern auch die ganz reale: Millionen von Menschen haben in Nachkriegsdeutschland kein Dach über dem Kopf.
Textstelle III
BECKMANN: (wacht auf) Teck – tock – teck – tock!!! Wo bin ich? Hab ich geträumt? Bin ich denn nicht tot? Das ist das Leben! [1] Ein Mensch ist da, und der Mensch kommt nach Deutschland, und der Mensch friert, hungert und humpelt! [2] […] Ein Mann kommt nach Deutschland! Und dann kommt der Einbeinige [3] – teck – tock – teck – kommt er, teck – tock, und der Einbeinige sagt: Beckmann. Sagt immerzu: Beckmann. […] Und der geht durch das Leben seines Mörders teck – tock – teck – tock! Und der Mörder bin ich. Ich? der Gemordete, ich, den sie gemordet haben, ich bin der Mörder? Wer schützt uns davor, dass wir nicht Mörder werden? Wir werden jeden Tag ermordet, und jeden Tag begehn wir einen Mord! [4] Und die Menschen gehen an dem Tod vorbei, achtlos, resigniert, blasiert, angeekelt und gleichgültig, gleichgültig, so gleichgültig! [5] Und der Tote fühlt tief in seinen Traum hinein, dass sein Tod gleich war wie sein Leben: sinnlos, unbedeutend, grau. Und du – du sagst, ich soll leben! Wozu? Für wen? Für was? Hab ich kein Recht auf meinen Tod? [6] Hab ich kein Recht auf meinen Selbstmord? Soll ich mich weiter morden lassen und weiter morden? Wohin soll ich denn? Wovon soll ich leben? Mit wem? Für was? Wohin sollen wir denn auf dieser Welt! [7] Verraten sind wir. Furchtbar verraten. Wo bist du, Anderer? Du bist doch sonst immer da! Wo bist du, Antworter, wo bist du, der mir den Tod nicht gönnte! Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? [8] Warum redet er denn nicht!!!
- In dieser Formel kann das realistische Motto der Trümmerliteratur erkannt werden.
- Die erschwerten Lebensbedingungen der Nachkriegszeit werden kurz und prägnant aufgezählt.
- Kriegsversehrte prägen in dieser Zeit das Straßenbild. Im konkreten Fall ist der Einbeinige der Ehemann der Frau, mit der sich Beckmann fast eingelassen hätte.
- Die unauflösbare Verstrickung von Opfern und Tätern im Nationalsozialismus wird thematisiert.
- Die unmenschliche Mitleidlosigkeit der Gesellschaft wird angesprochen.
- Der ganze Pessimismus der Zeit entlädt sich in diesem Katalog rhetorischer Fragen.
- Die stakkatoartig wiederholten rhetorischen Fragen zeigen die Eindringlichkeit des literarischen Gestus.
- Die Menschen fühlen sich von Gott verraten. Das Problem der Theodizee wird thematisiert.