Klassik (1786-1805)

Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!

Johann Wolfgang Goethe: »Das Göttliche« (Gedicht, 1789)

Die Weimarer Klassik ist die Epoche der engsten Zusammenarbeit zwischen Goethe und Schiller und dauert von Goethes Italienreise 1786 bis zu Schillers Tod 1805. Sie strebt danach, die im Sturm und Drang aufgebrochenen Gegensätze in Harmonie zu bringen und den Menschen durch ästhetische Erziehung zu veredeln. Vorbild ist dabei die Kunst des antiken Griechenlands. 

Epochenbezeichnung

Das Wort »klassisch« stammt aus dem Lateinischen und bedeutet »mustergültig, vorbildlich«. Ursprünglich bezieht es sich auf die Einteilung in die fünf römischen Bürgerklassen, dann auf die führende dieser Klassen. Entsprechend ist ein (scriptor) classicus ein führender Autor. In der Folge wird der Begriff eingeschränkt auf die antiken Autoren. Außerdem nennen die verschiedenen Sprachkulturen die Höhepunkte ihrer Literatur »Klassik«: die italienische Renaissance von Dante bis Tasso (13.-16. Jh.), das elisabethanische Zeitalter in England mit Shakespeare (16. Jh.), das spanische Siglo de Oro (16./17. Jh.) und die französische Klassik mit Racine, Corneille und Molière (17. Jh). Goethe und Schiller bezeichnen sich nie als Klassiker; die Bezeichnung wird erst im 19. Jh. auf ihr Werk angewendet, das so zum nationalen Erbe erklärt wird. Außerhalb des deutschen Sprachraums wird der Begriff selten als Beschreibung von Goethes und Schillers Schaffen gebraucht.

Zeitgeschichte

Es ist die Französische Revolution mit ihren weitreichenden politischen, sozialen und geistesgeschichtlichen Folgen, die der Epoche ihren Stempel aufdrückt. Das unter Willkürherrschaft und Teuerung leidende Volk erhebt sich gegen den absolutistischen König und stürmt 1789 die Bastille. Inspiriert von den Idealen der Aufklärung kommt es kurz danach zur Erklärung der Menschenrechte, die alle Menschen als »frei und gleich an Rechten geboren« definiert und mit Gewaltentrennung, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit wesentliche Grundrechte fordert, die bis heute Geltung haben.

Vermag sich der republikanische Staat militärisch erfolgreich gegen die Allianz der europäischen Königreiche zu behaupten, wird die Revolution immer mehr von innen her in Frage gestellt: Der sog. ›Schreckensherrschaft‹ der Revolutionäre fallen erst der König Louis XVI., dann immer weitere tatsächliche oder angebliche Gegner zum Opfer, bis in einem wahren Blutrausch schließlich deren Anführer selbst, darunter Maximilien Robbespierre, unter der Guillotine enden (›Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder‹). Nach der folgenden Herrschaft des Besitzbürgertums ist es der in den republikanischen Kriegen erfolgreiche Militär Napoleon Bonaparte, der sich an die Macht putscht, das Ende der Revolution verkündet und sich 1804 zum Kaiser wählen bzw. krönen lässt.

Literaturepoche

Die Weimarer Klassik kann als literarische Reaktion auf die blutigen Widersprüche der Französischen Revolution angesehen werden. Beim Versuch, die Ideen der Aufklärung in die gesellschaftliche Realität zu überführen, treten hier unüberwindbare Widerstände zutage. Anders als in ihrer Sturm-und-Drang-Phase versuchen Goethe und Schiller diese Gegensätze zwischen Volk und Adel, zwischen Vernunft und Gefühl, Natur und Kultur nicht mehr zu betonen, sondern sind nun im Gegenteil um Ausgleich, um Harmonie bemüht. Das prägende Ereignis bei Goethe ist seine zweijährige Italienreise. Der am Hof des aufgeklärt-absolutistischen Herzogs Karl August in Weimar tätige Minister reist 1786 infolge einer privaten Krise nach Italien, um dort die griechische Antike kennenzulernen, die seine ästhetische Haltung und seine Moralvorstellungen verändert. Bei Schiller ist es die Auseinandersetzung mit den moralischen Schriften Immanuel Kants, die zu einem Umdenken führt. Im Gegensatz zum Philosophen fordert er eine Versöhnung des Gegensatzes zwischen Natur und Pflicht, Neigung und Vernunft: Die ›schöne Seele‹ tut das Gute nicht aus Pflichtgefühl wie die ›erhabene Seele‹, sondern weil es ihre Natur ist, und erscheint so anmutig.

Ihren Anfang nimmt die Kooperation der beiden Dichter 1794. Für beide ist es »eine unerwartete Übereinstimmung, die um so interessanter war, weil sie wirklich aus der größten Verschiedenheit der Gesichtspunkte hervorging« (Schiller an Körner, 1. September 1794). Aus der Überzeugung, dass »derjenige noch nicht reif ist zur bürgerlichen Freiheit, dem noch so vieles zur menschlichen fehlt« (Schiller), wenden sie sich von der gesellschaftlichen Realität ab und entwickeln ihr Programm zur ästhetischen Erziehung. Die Kunst, nicht die Revolution soll Menschen veredeln. Zunächst räumlich getrennt voneinander – Schiller in Jena, Goethe in Weimar –, dann ab 1799 beide in Weimar, arbeiten sie so an literarischen Zeitschriften (»Die Horen«, »Die Propyläen«, »Der Musenalmanach«). Darüber hinaus sitzen sie zu Gericht über die Gegenwartsliteratur, indem sie diese in kurzen Sinnsprüchen (Distichen) geißeln oder loben. Im Balladenjahr 1797/98 kommt es zu einem spielerischen Wettkampf der beiden Balladen-Dichter. Schließlich fördern sie sich gegenseitig in Wort und Tat. Als Leiter des Weimarer Hoftheaters berät Goethe Schiller bei der Formgebung seiner großen historischen Dramen (z.B. »Wallenstein«); Schiller wiederum steht Goethe als ebenso wohlwollender wie scharfsinniger Kritiker zur Seite.

Merkmale

Inhalt

  • mythologische und historische Stoffe, Personen und Motive statt zeitgenössische (z.B. »Iphigenie«, »Wallenstein«)
  • Abwendung von der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität
  • Rückkehr zu den Idealen der griechischen Antike
  • Bemühung um Harmonie und Ordnung
  • Humanitätsideal: Perfektionierung des Menschen und der Menschheit, individuelle Entwicklung steht im Vordergrund
  • Einsicht in die Beschränktheit der menschlichen Natur
  • Programm der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts
  • Unabhängigkeit der Kunst: sie dient keinem anderen Zweck als sich selbst
  • Natur als Lehrmeisterin und Vorbild

Form

  • Lyrik: klassische Versmaße (Alexandriner, Hexameter bzw. Pentameter) und Gedichtformen (Epigramm, Sonett, Ode, Hymne)
  • Dramen in Versform gestaltet (Blankvers), gehobene Sprache, 5-Akte-Schema nicht sklavisch eingehalten, sondern flexibel variiert (z.B. »Faust«)
  • Genres:
    • Ballade
    • Gedankenlyrik
    • Ideendramen
    • Entwicklungsroman
  • wohlgestaltete Sprache und hohes Sprachniveau
  • Bemühung um formale Strenge
  • Übereinstimmung von Form und Inhalt

Epochenübergang

Die beiden Klassiker versuchen die Gegensätze zwischen Aufklärung einerseits und Sturm und Drang andererseits zu versöhnen: Während sie in ihrer Sturm-Drang-Zeit rebellieren und die Widersprüche schrill betonen, bemühen sich Schiller und Goethe nun um Ausgleich, Maß und Harmonie. Gefühl und Rationalität, Natur und Kultur, Ideal und Realität sollen harmonisch zusammengeführt werden. Auf diese Weise soll der Mensch zu seinem höheren Selbst finden.

Die anfängliche Sympathie für die französische Revolution macht Skepsis und Ablehnung Platz. Indem Goethe als Minister am Weimarer Hof mit konkreten sozialen Problemen konfrontiert wird, verliert sich seine sozialromantische Tendenz. Allgemein setzt sich bei den Stürmern und Drängern mit ihren einst hochfliegenden Plänen die Erkenntnis durch, dass der menschliche Wirkungskreis begrenzt ist.

Merkwürdiges

Vor ihrer engen Zusammenarbeit waren Schiller und Goethe Konkurrenten. Die Freundschaft der beiden ungleichen Männer entwickelt sich zäh. So sagt 1789 der aufstrebende Schiller über den zehn Jahre älteren, bereits bekannten Goethe, der ihn auf Distanz hält:

Ich betrachte ihn wie eine stolze Prüde, der man ein Kind machen muss, um sie vor der Welt zu demütigen. Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht ganz unähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Caesar gehabt haben müssen; ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben.

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Bereits im 19. Jahrhundert wird das Konterfei der beiden Dichter zweckentfremdet.

Autor: Johann Wolfgang Goethe

1749-1832, Frankfurt a.M.

Wichtige Werke

  • »Iphigenie auf Tauris« (1787)
  • »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (1795/96)
  • »Faust. Der Tragödie erster Teil« (1808)
  • »Die Wahlverwandtschaften« (1809)

Leben

Johann Wolfgang Goethe wurde am 28. August 1749 in Frankfurt am Main in einer wohlhabenden Familie geboren. In Leipzig begann er 1765 ein Jurastudium und hatte dort seine erste von vielen Beziehungen. 1776 ging Goethe nach Weimar, eingeladen vom Herzog Karl August, und reiste 1786 von dort für eineinhalb Jahre nach Italien. Diese Reise prägte sein Leben und leitete die Klassik ein. 1806 heiratete Goethe Christiane Vulpius. Goethe verstarb am 22. März 1832 in Weimar.

Werk: »Faust. Der Tragödie erster Teil« (Tragödie, 1808)

Der Teufel Mephistopheles (Mephisto) wettet mit Gott, auch den besten Menschen zum Schlechten verführen zu können, und bekommt die Erlaubnis, dies bei Faust, einem unglücklichen Gelehrten, zu versuchen. Mephisto kommt zu Faust und bietet ihm seinen Dienst an, wenn dieser ihm dafür seine Seele überlässt. Faust nimmt an und der Teufel hilft ihm, mit Gretchen zusammenzukommen. Faust befruchtet Gretchen, weshalb sie zum Tode verurteilt wird. Doch zum Schluss wird sie von Gott erlöst und Faust kann mit Mephisto entkommen.

Textstelle I

FAUST. Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich getan! [1]
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen:
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet' ich!

MEPHISTOPHELES. Topp!

FAUST.                                   Und Schlag auf Schlag! [2]
Wird' ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön! [3]
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zugrunde gehn!
Dann mag die Totenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frei,
Die Uhr mag stehn, die Zeiger fallen,
Es sie die Zeit für mich vorbei! [4]

  1. Der Mensch wird als unermüdlich tätiges, an seiner Vervollkommnung arbeitendes Wesen definiert: Er/Sie soll zumindest versuchen, seine Fähigkeiten auszubilden und zu perfektionieren.
  2. Fausts Wette mit dem Teufel kann als Kritik des Fortschrittsoptimismus der Aufklärung (und damit beispielsweise auch der Französischen Revolution) gelesen werden. Fausts stetiges Drängen nach mehr Wissen und Erfahrungen führt zu seinem Pakt mit dem Bösen und hat schlimme Konsequenzen für viele Charaktere in der Tragödie (insbesondere Margarete).
  3. Wie bei den Klassikern selbst, lässt sich hier bei Faust eine gewisse Abwendung von der Alltagswirklichkeit beobachten.
  4. Der Textausschnitt aus der Tragödie weist eine gehobene Sprache, ein strenges Metrum (abgesehen vom ersten Vers konsequent vierfüßige Jamben) und klares Reimschema (Kreuzreime) auf.

Textstelle II

FAUST. Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche!
Das Streben meiner ganzen Kraft
Ist g'rade das was ich verspreche.
Ich habe mich zu hoch gebläht;
In deinen Rang gehör' ich nur. [1]
Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur. [2]
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sei jedes Wunder gleich bereit! [3]
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit, [4]
Ins Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln wie es kann;
Nur rastlos betätigt sich der Mann. [5]

  1. Faust zeigt hier Einsicht in die Beschränktheit des menschlichen Wirkungskreises.
  2. Das Versmaß dieser ersten Zeilen wird Faustvers genannt (allgemein: zwei- bis sechshebige Jamben ohne vorgeschriebenes Reimschema; in diesem Fall: vier- oder fünfhebige Jamben in Kreuzreimen). Interessant ist auch, dass die »Natur«, das alles inspirierende Ideal der Stürmer und Dränger, für Faust hier keine Lösung bietet.
  3. Diese sechs Zeilen spricht Faust im Knittelvers: Jeder Vers besitzt vier betonte und eine unbestimmte Anzahl unbetonter Silben. Hier mit einem Schweifreim (AABCCB).
  4. Übereinstimmung von Form und Inhalt: Die drei Daktylen dieser Zeile wiederholen auf der formalen Ebene das inhaltliche »Stürzen« in das »Rauschen der Zeit«.
  5. Das Versmaß der letzten Zeilen ist nicht mehr regelmäßig, es spiegelt somit erneut die »rastlos[e]« Qualität von Fausts Begehren wieder.

Textstelle III

FAUST. O wär' ich nie geboren! [1]

MEPHISTOPHELES (erscheint draußen). Auf! oder ihr seid verloren.
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Meine Pferde schaudern,
Der Morgen dämmert auf.

MARGARETE. Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schick' ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!

FAUST.          Du sollst leben!

MARGARETE. Gericht Gottes! Dir hab' ich mich übergeben! [2]

MEPHISTOPHELES (zu Faust). Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.

MARGARETE. Dein bin ich Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut's vor dir.

MEPHISTOPHELES. Sie ist gerichtet!

STIMME (von oben).                              Ist gerettet! [3]

MEPHISTOPHELES (zu Faust).                           Her zu mir! (verschwindet mit Faust) [4]

  1. Schon Ödipus in Sophokles' Tragödie »Ödipus auf Kolonnos« bedauert so sein Schicksal. Der Einfluss der antiken griechischen Autoren auf Goethe ist somit hier ersichtlich.
  2. Der ganze Ausschnitt ist konsequent in Paarreimen gereimt, die Verse werden aber zweimal auf verschiedene Sprecher verteilt (Antilabe). Das Versmaß variiert von Zeile zu Zeile.
  3. Gretchen handelt moralisch aufrichtig, indem sie sich weigert, Faust (und somit dem Teufel) zu folgen. Sie ist eine ›schöne Seele‹ und wird deshalb von Gott erlöst.
  4. Der erste Teil der Tragödie endet hier. Erst in »Faust. Der Tragödie zweiter Teil«, welchen Goethe 1831 beendete, findet Faust zurück zu Gott und wird erlöst.

Weitere Autoren

Friedrich Schiller (1759-1805)

Johann Gottfried Herder (1744-1803)

Christoph Martin Wieland (1733-1813)

Heinrich von Kleist (1777-1811)

Jean Paul (1763-1825)

Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Weitere Werke

Friedrich Schiller: »Don Karlos« (Drama, 1787)

Johann Wolfgang Goethe: »Iphigenie auf Tauris« (Schauspiel, 1787)

Johann Wolfgang Goethe: »Torquato Tasso« (Schauspiel, 1790)

Friedrich Schiller: »Maria Stuart« (Drama, 1800)

Friedrich Schiller: »Wilhelm Tell« (Drama, 1804)