Barock (1600-1720)

Mensch werde wesentlich: Denn wann die Welt vergeht,
So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.

Angelus Silesius: »Cherubinischer Wandersmann« (Epigramme, 1657)

Die literarische Epoche des Barock ist vom Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit (vanitas) geprägt und den zwei gegensätzlichen Folgerungen, die man daraus ziehen kann: Genieße den Tag! und Bedenke, dass du sterben musst! So sind es extreme Gegensätze, die das Bild der Epoche bestimmen: Lebensfreude und Tugendstrenge, Weltgenuss und Todessehnsucht, Schein und Sein, Chaos und Ordnung.

Epochenbezeichnung

Die Bezeichnung Barock geht zurück auf portug. barocco bzw. das daraus entlehnte franz. baroque, mit dem man unregelmäßige Perlen bezeichnete. In übertragener Bedeutung wertete das Adjektiv »überladene, bizarre« Kunstwerke ab.

Der negative Beigeschmack geht verloren, als der Kunsthistoriker Jakob Burckhardt die Bezeichnung 1855 auf die Kunstperiode nach der Renaissance anwendet.

Zeitgeschichte

Religiöse Unsicherheit und Unterdrückung, Willkürherrschaft und Krieg, Hungersnöte und Seuchen – das Leben der Menschen im 17. Jahrhundert war von immensem Leid geprägt.

Spannungen im Zusammenhang mit der Reformation und der Gegenreformation führten zum sog. ‚Dreißigjährigen Krieg’, der von 1618 bis 1648 dauerte und das Heilige Römische Reich in beispielloser Weise verheerte. Über ein Drittel der Bevölkerung fiel den Kämpfen, Plünderungen, Krankheiten und Hungersnöten zum Opfer.

Der Westfälische Friede von 1648 brachte einen Kompromiss zwischen allen Beteiligten und die Bestätigung des Grundsatzes, dass der weltliche Herrscher die Konfession seiner Untertanen bestimmen konnte (cuius regio, eius religio).

Literaturepoche

Kunst, Architektur und Literatur dienen im Zeitalter der Gegenreformation in erster Linie dazu, die Macht des absolutistischen Herrschaftssystems und der christlichen Kirche darzustellen. Literarische Zentren sind neben den Klöstern die aufstrebenden Universitäts-Städte und die Höfe der Territorialfürsten, die ihre steigende Macht repräsentieren. Die Dichter sind in der Regel Gelehrte oder Geistliche, die einem weltlichen oder geistlichen Herrscher verpflichtet sind.

Dichtung wird nicht als freier Ausdruck des Individuums gesehen, sondern als eine Kunst, die eine Funktion erfüllt und exakten Regeln gehorcht. Dichter werden in dem Sinn als »gelehrte Dichter« (poeta doctus) angesehen, als Dichter, die gelehrt sind in den literarischen Regeln und Traditionen, vor allem der Literatur der Antike. Besonders prägend für die Epoche ist Martin Opitz’ »Buch von der deutschen Poeterey«, in dem er die Silbenbetonung an Stelle der antiken Silbenlänge setzt und damit die deutsche Verslehre begründet. So dominieren alternierende Versmaße wie der Alexandriner (6-füßige Jamben, Zäsur nach 3. Hebung) und streng geregelte Gedichtformen wie das Sonett. Der lyrische Ausdruck hat dabei keinen Selbstzweck, sondern wird für bestimmten Gelegenheiten gestaltet, z.B. Hochzeiten, Geburtstage, Feiern (Gelegenheitsdichtung).

Außerdem orientieren sich die Dichter an den Gesetzmäßigkeiten der antiken Rhetorik. In immer neuen Variationen werden feste Metaphern z.B. für die Vergänglichkeit angehäuft (= Akkumulation). In sog. Emblembüchern wird die Bedeutung dieser Symbole erläutert. Das irdische Ding an sich hat dabei keinen Eigenwert; es bekommt nur einen Wert, wenn es als Zeichen für etwas (Überirdisches) gedeutet wird.

So soll die Dichtung den Menschen an seine Vergänglichkeit (memento mori) und die Eitelkeit alles Irdischen (vanitas) erinnern und zu einem tugendhaften Leben anleiten. Daneben kann in barocken Text aber auch die ausschweifende Sinnenfreude, z.T. in derben Worten, gefeiert werden (carpe diem).

In den Sprachgesellschaften wird Deutsch als Literatursprache gepflegt und veredelt. Dabei werden z.B. störende Fremdwörter und dialektale Wendungen entfernt bzw. ersetzt.

Merkmale

Form

  • starre Regelpoetik (nach Martin Opitz)
  • strenge, meist alternierende Versmaße, z.B. Alexandriner
  • traditionelle Gedichtformen, z.B. Sonett, Epigramm
  • rhetorische Figuren, z.B. Anapher, Akkumulation
  • konventionalisierte Bildlichkeit: Metapher, Allegorie (gemäß Emblembüchern)
  • uneinheitliche Rechtschreibung und Zeichensetzung, z.B. Virgel (Vorform des Kommas)
  • Dramatik hält sich an antike Vorgaben (5-Akt-Schema, 3 Einheiten, Ständeklausel usw.)

Inhalt

  • Huldigungen gegenüber der weltlichen und geistlichen Macht, z.B. Fürstenlob
  • Vanitas-Motiv: Warnung vor der Eitelkeit, d.h. der Vergänglichkeit alles Irdischen
  • Anleitung zu einem tugendhaften Leben im Sinne des memento mori (d.h. Bedenke, dass du sterben musst): vorbildliche Verhaltensweise
  • Lob der Sinnenfreude (carpe diem, d.h. Genieße den Tag)

Epochenübergang

Im Barock findet die deutsche Dichtung endlich Anschluss an den Standard der europäischen Literatur, die zuvor lange als Vorbild fungierte.

Deutsch etabliert sich als Literatur- und Kultursprache und wird von sog. »Sprachgesellschaften« gepflegt. Zudem betrachten und formulieren Theoretiker wie Martin Opitz zum ersten Mal eigenständige Regeln der deutschen Dichtung.

Die weltliche Literatur gewinnt zudem gegenüber der geistlichen an Bedeutung. Höfe und Städte werden zu Zentren der Literaturproduktion und lösen somit die Klöster von ihrer führenden Rolle in diesem Bereich ab. 

Merkwürdiges

Der berühmte Komponist Jean-Baptiste Lully (1632-1687) schlägt sich beim Dirigieren mit dem schweren Taktstock so vehement auf die eigene Zehe, dass sich die Wunde infiziert und er kurz danach an Wundbrand stirbt. So ist es der ausgeprägte barocke Ordnungswillen, der ihn das Leben kostet.

Autor: Andreas Gryphius

1616-1664, Glogau, Schlesien

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Andreas_Gryphius?uselang=de#/media/File:Andreas_Gryphius_1.jpg
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Wichtige Werke

  • Sonn- und Feiertagssonette (1639)
  • »Leo Armenius« (Tragödie, 1650)
  • »Katharina von Georgien oder Bewehrte Beständigkeit« (Tragödie, 1657)
  • »Absurda Comica oder Herr Peter Squenz« (Komödie, 1658)
  • »Horribilicribrifax« (Komödie, 1663)

Leben

Andreas Gryphius (= latinisierte Form des Familiennamens Greif) entstammt einem geistlichen Haus in Glogau in Schlesien. Seine Eltern verlor er schon im jungen Alter und lebte danach mit seinem Stiefvater, ebenfalls einem Geistlichen, in Polen. Ab 1638 studierte er im niederländischen Leyden Jurisprudenz. Schon während des Studiums tat er sich als Schriftsteller, insbesondere als Lyriker, erst in lateinischer, dann in deutscher Sprache hervor. Literarisch wurde er von Seneca, Shakespeare, Joost van den Vondel und dem Jesuitendrama inspiriert. Nach dem Studium war er als Jurist in Schlesien tätig. Daneben entfaltete er eine reichhaltige literarische Tätigkeit. Heute gilt er als der bedeutendste Sonettdichter des 17. Jahrhunderts. Darüber hinaus schrieb er zahlreiche Tragödien und Komödien, die jedoch kaum mehr aufgeführt werden.

Werk: »Absurda Comica oder Herr Peter Squenz« (Komödie, 1658)

Der halbgebildete Schulmeister Peter Squenz will mit seiner Laientheatergruppe bei Hofe »Pyramus und Thisbe« aufführen, eine Liebestragödie, die sich an Ovids »Metamorphosen« bzw. Shakespeares »A Midsummer Night‘s Dream« anlehnt. Beim Einüben und Vorführen des Stücks kommt es zu vielen ungewollt komischen Zwischenfällen, die den Dilettantismus der Handwerker entlarven. Doch wider Erwarten wird jeder der Fehler (»Säue«) reichlich belohnt. So befiehlt der König, dass man »den Komödianten soviel mal fünfzehn Gülden gebe, als sie Säue gemacht.«

Textstelle 1

SQUENZ. Wie sollen wir es heißen, eine Komödie oder Tragödie? [1]

LOLLINGER. Der alte berühmte deutsche Poet und Meistersänger Hans Sachse schreibet: Wenn ein Spiel traurig ausgehet, so ist es eine Tragödie. Weil sich hier nun zwei erstechen, so gehet es traurig aus. Ergo! [2]

PICKELHERING. Contra! Das Spiel wird lustig ausgehen, denn die Toten [3] werden wieder lebendig, setzen sich zusammen und trinken sich einen guten Rausch [4]; so ist es denn eine Komödie. [5]

  1. Gegensätze werden sichtbar (Komödie vs. Tragödie).
  2. Man beschäftigt sich mit gattungspoetischen Fragen, sucht »Tragödie« und »Komödie« voneinander abzugrenzen.
  3. Die Beschäftigung mit dem Tod ist typisch für das memento mori-Motiv.
  4. Mit dem Rausch, den sich die Scheintoten antrinken, wird dem Sinnengenuss gehuldigt (carpe diem).
  5. Generell zeigt sich in dieser Szene der Gegensatz zwischen Schein und Sein, der scheinbaren Gelehrtheit der Handwerker und ihrer Unwissenheit.

Textstelle 2

BULLA-BUTÄN (als Wand). Ihr Herren, höret mir zu mit offnen Ohren
Ich bin von ehrlichen Leuten – gezeuget. [1]
Als ich da gelernet in meiner Jugend,
Weisheit, Verstand und große – Kunst, [1]
Hat mich Herr Peter Squenz tüchtig erkannt,
Daß ich soll sein in diesem Spiel die – Mauer. [1]
[…]

PIRAMUS. Was soll ich mehr sagen?

SQUENZ. Das ist die andere Sau.

PIRAMUS. Das ist die ander Sau. [2] Aber nein, es stehet nicht so in meinem Zettel.

SQUENZ (ihm einhelfend). Gleich wie …

PIRAMUS. Ja, ja, ja, ja! – – Gleich wie, gleich wie,
gleich wie die Kühblum auf dem Acker
Verwelkt, die früh gestanden wacker,
So trocknet aus der Liebesschmerz
Der Menschen ihr gar junges Herz. [3]

  1. Der Handwerker findet nicht die richtigen Reime. So wird der Dilettant verspottet, der die Konventionen der Regelpoesie nicht beherrscht.
  2. Piramus hält Squenz‘ Ausruf für den soufflierten Text. Auch hier wird der Kunstlaie verspottet. Darüber hinaus zeigt sich der Widerspruch zwischen Schein und Sein.
  3. Piramus beginnt mit einer typischen Aufzählung von Metaphern bzw. Vergleichen, die mit gleich wie eingeleitet werden. Hier ist es ein schiefes Bild.

Textstelle 3

THEODORUS. Lasset hören, wie viel Säue Ihr gemacht in Eurer Tragödie. [1]

SQUENZ. Herr König, ich weiß nicht, wie viel Ihr gezählet habet: ich kam mit der Rechnung bis auf zehn. [...]

THEODORUS. Was kostet eine Sau so groß wie Ihr in Eurem Dorfe? [2]

SQUENZ. […] 12, auch 15 gute Gulden.

THEODORUS. Wohl, wohl! Marschall, man befehle dem Schatzmeister, dass man den Komödianten soviel mal fünfzehn Gülden gebe, als sie Säue gemacht.

SQUENZ. Großen Dank, großen Dank, lieber Herr König! [3] Hätten wir dies gewusst, wir wollten mehr Säu’ gemacht haben. [4]

  1. Der König konfrontiert Peter Squenz mit seinen Fehlern und der Vergeblichkeit seines Tuns (vanitas-Motiv).
  2. Der König vergleicht den Schulmeister indirekt mit einem Schwein. Darin zeigt sich die unüberwindliche Distanz zwischen dem absolutistischen Fürsten und dem Untertanen.
  3. Obwohl Squenz klargemacht wird, dass sein Werk nichts wert ist, erfreut er sich über das Trinkgeld. Abermals wird die Distanz zwischen Untertan und König sichtbar.
  4. Der komische Satz vermittelt etwas von der unbeschwerten Sinneslust des Barock.

Weitere Autoren

Paul Fleming (1609-1640)

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616-1679)

Paul Gerhardt (1607-1676)

Angelus Silesius (1624-1677)

Martin Opitz (1597-1639)

Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen (1621-1676)

Weitere Werke

Angelus Silesius: »Cherubinischer Wandersmann« (Epigramme, 1657)

Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen: »Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch« (Roman, 1668/69)

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Gedichte

Paul Gerhardt: Gedichte (1607-1676)

Martin Opitz: »Das Buch von der deutschen Poeterey« (Poetik, 1624)

Paul Fleming: »Teutschen Poemata« (Gedichte, 1646)

Catharina Regina von Greiffenberg: Gedichte (1633-1694)