Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. […] Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Immanuel Kant: »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« (Essay, 1784)
Die Aufklärung steht im Zeichen des wirtschaftlich erstarkten Bürgertums, das sich von der staatlichen und kirchlichen Bevormundung zu lösen beginnt, indem es alles kritisch hinterfragt. So werden im ›Zeitalter der Kritik‹ alle Lebensbereiche vom Licht der Vernunft durchleuchtet: Gesellschaft und Kultur, Wissenschaft und Erziehung, Philosophie und Literatur.
Epochenbezeichnung
Das Wort führt zurück auf den meteorologischen Begriff aufklaren, d.h. »klar werden, sich aufhellen«. Der besonders in der Seemannssprache geläufige Begriff wurde in den 1770er-Jahren in übertragener Bedeutung auf das ›Licht der Vernunft‹ angewendet, das das von Aberglauben verfinsterte Mittelalter aufhellen soll. Die Licht-Metapher kommt ähnlich vor im franz. les lumières, ital. illuminismo sowie in engl. enlightenment, das sich als Epochenbegriff allerdings erst im 20 Jh. etabliert.
Zeitgeschichte
Sichtbare Zeichen, dass eine neue Epoche anbricht, sind die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten im Jahr 1776 und die Französische Revolution mit dem Sturm auf die Bastille 1789. Beide Volksbewegungen sind inspiriert vom Gedanken der Aufklärung, vom Wunsch des Bürgertums, sich von den absolutistischen Willkürherrschern zu emanzipieren und ein vernünftiges, gerechtes Regierungssystem einzurichten.
In Deutschland finden die Aufklärung v.a. im geistigen und ökonomischen Bereich statt: In der Wissenschaft sind es der aus Frankreich stammende Rationalismus und der englische Empirismus, die alte Dogmen in Frage stellen und neue Erkenntnisse ermöglichen. Der Philosoph Immanuel Kant initiiert mit seinen Werken das ‚Zeitalter der Kritik’. In der Wirtschaft verschafft das Manufakturwesen dem gehobenen Bürgertum mehr ökonomische Macht. Dessen gesteigertes Selbstbewusstsein spiegelt sich im öffentlichen Diskurs, der mehr und mehr von bürgerlichen Denkern geprägt ist.
Literaturepoche
Das geschriebene und gelesene Wort erlebt zwischen 1700 und 1800 einen enormen Aufschwung. Allein die Zahl der Lesenden verdreifacht sich in der Zeitspanne, es entsteht ein bürgerliches Publikum. Dessen Lese- und Bildungshunger wird auf verschiedene Weise gestillt. Zunächst geschieht dies in mannigfaltigen Kurzbeiträgen in den unterhaltenden Wochenschriften, einer Frühform des Feuilletons. Auch lehrhafte literarische Kurzformen wie Fabel, Aphorismus oder Brief werden hier abgedruckt. Literatur hat die didaktische Funktion, durch Unterhaltung zu belehren ganz nach dem antiken Motto delectare et prodesse. Darüber hinaus werden deutlich mehr Bücher publiziert. Während sich die Zahl theologischer Publikationen in hundert Jahren halbiert, erscheinen sechs mal mehr historische Untersuchungen, die Zahl der Poesiebände vervierzigtfacht sich gar. Aber auch die Produktion von Romanen (z.B. Robinsonaden) und Ratgebern (z.B. »Knigge«) steigt rasant.
Darüber etabliert sich das Theater als Medium für gesellschaftliche Fragen. Gotthold Ephraim Lessing wendet sich gegen die herrschende Dramentheorie Johann Christoph Gottscheds und hält gegen die bloße Nachahmung französischer Vorbilder (Molière, Racine) die Inspiration durch Shakespeare. So führt er das bürgerliche Trauerspiel ein, eine Tragödie, die sich über die Ständeklausel hinwegsetzt, in der also auch bürgerliche Heldinnen und Helden tragikfähig sind. Das bürgerliche Publikum soll Mitleid für deren Schicksal entwickeln und sich so moralisch bessern. Dabei geht es um Konflikte zwischen den Ständen (»Emilia Galotti«), den Geschlechtern (»Minna von Barnhelm«) oder den Religionen (»Nathan der Weise«). Diese werden in möglichst authentischen, lebendigen Dialogen dargestellt.
Merkmale
Form
- Genres
- Fabel
- Parabel
- Aphorismus
- Essay
- Lehrgedicht
- Satire
- Bürgerliches Trauerspiel
- einfache, für alle verständliche Sprache
- Bemühung um authentische dramatische Sprachform: z.B. Interjektion, Ellipse, Dialekt
- Apostrophe: direkte Anrede an die Lesenden
Inhalt
- Verstand, v.a. der gesunde Menschenverstand, sind ausschlaggebend: selber denken
- Gleichheit aller Menschen: Mitleid als bestimmende Kraft
- erzieherische, lehrhafte Dimension
- Kritik an gesellschaftlichen Missständen: z.B. Willkürherrschaft, Hofleben, Religion
- Toleranz gegenüber anderen Religionen
- Deismus (Vernunftreligion)
Epochenübergang
Literatur ist nicht mehr länger Freizeitbeschäftigung einer kleinen Akademiker-Elite, sondern wird massentauglich: geschrieben wird von Bürgerlichen für Bürgerliche über Bürgerliche. Im Zentrum des Interesses steht das einzelne Individuum, der Mensch, nicht dessen Standes- oder Glaubenszugehörigkeit.
Relevant ist der eigene Verstand, nicht der Rückgriff auf vorgegebene Dogmen und Gesetze. Die Lesenden sollen ihre eigenen Schlüsse aus den Lehren ziehen. So wird auch der christliche Glaube (ob katholisch oder reformiert) wird nicht mehr blind akzeptiert, sondern hinterfragt.
Die barocke Konzentration auf das Jenseits macht somit einer pragmatischen Hinwendung zum Irdischen Platz.
Merkwürdiges
Totgeglaubte leben länger. Der aufklärerische Theaterreformer Johann Christoph Gottsched und die Theaterleiterin Caroline Neuber wollen das deutsche Theater nach französischem Vorbild reformieren. Dabei ist ihnen die im Volkstheater beliebte Hanswurst-Figur mit ihren derben, improvisierten Späßen ein Dorn im Auge. In einem symbolischen Vorspiel soll er daher 1737 ein für allemal von deutschen Bühnen verbannt werden. Caroline Neuber stößt den Ungeliebten persönlich über den Bühnenrand. Das abgebildete Wandgemälde im Konstanzer Stadttheater von F. X. Hermann gibt von dieser Verstoßung beredtes Zeugnis. Doch dieser überlebt den Mordanschlag ebenso wie das kaiserliche Verbot 50 Jahre später und treibt noch heute auf (Puppen-)Theaterbühnen sein possenhaftes Wesen. Unter dem Decknamen Kasperl(e) kennt ihn jedes Kind …

Autor: Gotthold Ephraim Lessing
1729-1781, Kamenz (Sachsen), Deutschland
Wichtige Werke
- »Miss Sara Sampson« (Bürgerliches Trauerspiel, 1755)
- »Fabeln« (1759)
- »Minna von Barnhelm« (Lustspiel, 1767)
- »Emilia Galotti« (Bürgerliches Trauerspiel, 1772)
- »Nathan der Weise« (Ideendrama, 1783)
Leben
Lessing wird 1729 als Sohn eines evangelischen Pfarrers im sächsischen Kadenz geboren. Er studierte zuerst Theologie, verliert aber schnell das Interesse und wechselt zur Medizin, besucht schlussendlich aber auch Vorlesungen zu Poetik, Ethik, Philosophie und anderem. Er gilt als bedeutender Aufklärer und Dramatiker, dessen Stücke einen immensen Einfluss auf die um die gleiche Zeit einsetzende Sturm und Drang-Epoche ausübten. Daneben veröffentlichte er verschiedene theoretische und kritische Schriften, beispielsweise zu den medialen Unterschieden zwischen bildender Kunst und Literatur (»Laokoon«) oder zum Theater (»Hamburgische Dramaturgie«).
Werk: »Nathan der Weise« (Ideendrama, 1783)
Der reiche Jude Nathan kehrt von einer Geschäftsreise nach Jerusalem zurück. Dort erfährt er, dass seine Tochter Recha von einem jungen christlichen Tempelherren vor dem Verbrennen bewahrt wurde. Ihr Retter verliebt sich alsbald in das jüdische Mädchen und will sie heiraten, Nathan zögert jedoch noch, ihm seine Einwilligung zu geben. Gleichzeitig befindet sich der muslimische Herrscher Saladin in finanziellen Schwierigkeiten. Um dem wohlhabenden Nathan eine Falle zu stellen und ihn so seines Besitzes zu berauben, stellt Saladin ihm die Frage, welche der drei Religionen Nathan für die »wahre« halte. Nathan weicht der Frage jedoch mit einer Parabel aus, welche die Gleichberechtigung und gegenseitige Toleranz aller Religionen fordert (›Ringparabel‹). Das Stück endet schließlich in versöhnlichen, »allseitige[n] Umarmungen«: Es stellt sich heraus, dass der Tempelherr und Recha die beiden verschollenen Kinder von Saladins Bruder Assad sind – deshalb auch die Vorbehalte von Rechas Adoptivvater Nathan gegen eine Heirat der beiden.
Textstelle I
DAJA. [...] Es sei ihr Tempelherr
Kein irdischer und keines irdischen;
Der Engel einer, deren Schutze sich
Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern
Vertrauet glaubte, [...]
Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,
In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann
Vereinigen; – so einen süßen Wahn! [1]
[...]NATHAN. [...] Macht dann
Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: – [2]
Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber als ein Engel – [3]
- Die Gemeinsamkeiten der drei großen monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) wird betont. Der Ton ist gleichzeitig kritisch und pragmatisch: Der Glaube an Engel ist ein »süßer Wahn«, eine Illusion, die trotzdem eine gewisse Sicherheit garantiert.
- Die Wahrheit, ungetrübt von religiösem Dogma, wird dennoch eindeutig bevorzugt.
- Nathans Argumentation ist repräsentativ für die aufklärerische pragmatische Hinwendung zum Irdischen: Der Mensch und seine Bedürfnisse stehen im Zentrum.
Textstelle II
TEMPELHERR. Ich muss gestehn,
Ihr wisst, wie Tempelherren denken sollten. [1]NATHAN. Nur Tempelherren? sollten bloß? und bloß
Weil es die Ordensregeln so gebieten? [2]
Ich weiß, wie gute Menschen denken; weiß,
Dass alle Länder gute Menschen tragen. [3]TEMPELHERR. Mit Unterschied, doch hoffentlich?
NATHAN. Jawohl; [4]
An Farb’, an Kleidung, an Gestalt verschieden.TEMPELHERR. Auch hier bald mehr, bald weniger, als dort.
NATHAN. Mit diesem Unterschied ist’s nicht weit her. [5]
- Toleranzgedanke und Mitgefühl: Nathans Verstand und Empathie werden vom Tempelritter gewürdigt und geschätzt.
- Das rationale Denken ist absolute Pflicht und soll auch nicht auf äußere religiösen Autoritäten (»Ordensregeln«) abgestützt werden.
- Die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Nationalität, wird betont.
- Das Versmaß des ganzen Dramas ist der Blankvers (ungereimter fünfhebiger Jambus). Häufig wird der Vers jedoch auf Redepartien mehrerer Personen verteilt: In diesem Fall enthält der vorherige Vers des Tempelherrn die ersten vier Hebungen, Nathans Interjektion ist die abschliessende letzte Hebung. Dieses Phänomen nennt man Antilabe.
- Hier wird erneut der Gleichheitsgedanke betont. Die Wiederholung hat auch eine didaktische Funktion: Durch ständige Repetition werden die wichtigsten Punkte des Stückes einprägsamer für das Publikum.
Textstelle III
TEMPELHERR. Wenn aber nun das Kind,
Erbarmet seiner sich der Jude nicht, [1]
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?PATRIARCH. Tut nichts! der Jude wird verbrannt. – Denn besser,
Es wäre hier im Elend umgekommen,
Als dass zu seinem ewigen Verderben
Es so gerettet ward. – Zudem, was hat
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott
Kann, wen er retten will, schon ohn ihn retten. [2]
[...]TEMPELHERR. Das geht
Mir nah’! [3] Besonders, da man sagt, er habe
Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als
Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,
Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger
Gelehrt, als der Vernunft genügt. [4]PATRIARCH. Tut nichts!
Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär allein
Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt
Zu werden! – [5]
- Der Jude Nathan ist der prototypische Held der Aufklärung: Für ihn ist Mitleid die bestimmende Kraft seines Handelns.
- Der christliche Grundsatz, dass das Schicksal von Menschen nur von Gott entschieden werden kann, wird hier von Lessing deutlich hinterfragt. Besser ist es, sich von Mitgefühl und gesundem Menschenverstand leiten zu lassen.
- Auch der Tempelherr lässt sich vom Mitleidsideal lenken.
- Nathan scheint Recha nach deistischen Grundsätzen aufgezogen zu haben. Der Glaube an Gott basiert auf Verstand und nicht auf heiligen Schriften und anderen religiösen Dogmen.
- Das Beharren auf der grausamen Bestrafung von Nathan macht den christlichen Patriarchen von Jerusalem zum Antagonisten des Stücks. Durch ihn macht Lessing die oftmals menschenfeindliche Inflexibilität der christlichen Dogmen deutlich. Lessing selbst war ein stetiger Verfechter des ›Christentums der Vernunft‹.