Ein Drama – noch viel mehr als ein episches oder lyrisches Werk – lebt von den auftretenden Figuren. So ist es kein Zufall, dass zu Beginn eines Stückes in der Regel das Personenverzeichnis, dramatis personae, steht. Im Zentrum der folgenden Handlung steht dabei der Konflikt zwischen Protagonist(en) und Antagonist(en). Das Fehlen einer epischen Erzählinstanz bringt es mit mit sich, dass die Figuren in erster Linie durch sich selbst charakterisiert werden müssen.
Beteiligte
Person, Rolle, Figur
Die Dramatikerin bzw. der Dramatiker erschafft ein Stück mit mehreren Figuren. Die Figuren können Ähnlichkeiten zu realen Personen haben oder frei erfunden sein. Alle Dialoge und Regieanweisungen, die zu einer solchen Figur gehören, bilden zusammen die Rolle. Schauspielerinnen und Schauspieler lernen also eine Rolle, bevor sie mittels Rede, Gestik und Mimik eine bestimmte Figur spielen. Ihre Interpretation dieser Rolle, die gesteuert wird von der Regie, wird einem Publikum vorgeführt. Im Gegensatz zu epischen und lyrischen Texten, die meist nur gelesen werden, erreicht der dramatische Text seine Wirkung durch die raumzeitliche Realisierung.
Gotthold Ephraim Lessing schrieb die Tragödie »Emilia Galotti«. Die tugendhafte Titelheldin Emilia muss sich darin der Nachstellungen des Antagonisten, des ruchlosen, triebgesteuerten Prinzen Hettore Gonzaga, erwehren. Für eine junge Schauspielerin wie Marlene Hauser, die in der Wiener Volkstheater-Inszenierung von Lukas Hartmann von 2018 die Titelrolle spielt, bedeutet dies, dass sie sich mit der Figur auseinandersetzen muss. Dies geht bei Hauser über das Studium von Dialog-Passagen und Regieanweisungen hinaus – sie beschäftigt sich sogar im Rahmen ihrer Diplomarbeit mit der Figur: »Diese Figur erdet mich. Ich möchte sie zu meiner machen.«
Protagonist/in und Antagonist/in
Um maximale Wirkung zu erzielen, ist ein Stück meist antithetisch aufgebaut. Im Zentrum der dramatischen Handlung steht daher der Konflikt der Hauptfigur mit einen oder mehreren Antagonisten. In der Tragödie ist es oft ein im Grunde moralisch integrer Protagonist, der durch die Intrigen des bösen Antagonisten auf Abwege und schließlich zu Fall gebracht wird.
Der Konflikt zwischen dem Prinzen und Emilia in Lessings Trauerspiel »Emilia Galotti« spitzt sich im Lauf des Stücks immer mehr zu. Der ruchlose Gewaltherrscher und Damenmann Hettore ist dabei gegenüber der bürgerlichen Emilia in einer doppelten Machtposition. Am Ende vermag sie sich seinen Nachstellungen nur durch den Tod zu entziehen.
Charakter und Typus
Die Hauptfiguren eines Stück sind in der Regel Charaktere, d.h. mehrdimensionale Figuren: Sie haben neben ihrem Namen mehrere Charakterzüge, sind oft in sich widersprüchlich und machen im Lauf des Stücks eine Entwicklung durch. Auch Antagonisten sind oft nicht nur reine Bösewichte, sondern hegen Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Tuns und zeigen verschiedene Charakterzüge.
Typen dagegen sind jene Figuren im Stück, die keinen Namen haben und/oder nur wenige bekannte Eigenschaften. In der Regel handelt es sich hierbei um Nebenfiguren, die für das Stück lediglich relevant sind als Funktionsträger.
In Lessings »Emilia Galotti« sind fast alle vorkommenden Figuren komplex. Das liegt unter anderem daran, dass Lessing sein Stück auf das Wesentliche reduziert hat. Ein Typus ist der Kammerdiener, der den Prinzen bedient. Er hat fast keinen Text und das Publikum erfährt über ihn als Person fast nichts.
Charakterisierung
figurale und auktoriale Charakterisierung
Weil ein Stück keine Erzählinstanz hat wie ein Roman, kann der Autor die Figuren fast nur durch sich selbst, durch ihr Verhalten, ihre Interaktion und ihre Dialoge bzw. Monologe charakterisieren lassen. Im Besonderen kann bei der figuralen Charakterisierung eine Figur sich selbst beschreiben (Selbstbeschreibung) oder sie kann durch andere Figuren beschrieben werden (Fremdbeschreibung). Daneben hat der Autor die Möglichkeit, eine Figur ähnlich wie in der Epik direkt, d.h. auktorial zu charakterisieren: entweder durch einen sprechenden Namen oder im Rahmen einer Regieanweisung. Neben bestimmen äußerlichen Besonderheiten kann er in der Regieanweisung Charaktereigenschaften hervorheben. Diese müssen dann durch Regie und Schauspiel interpretiert bzw. realisiert werden.
Fremd- und Selbstdarstellung
Zur figuralen Charakterisierung gehören Fremd- und Selbstdarstellung. Bei der Fremddarstellung wird eine Figur durch Aussagen einer anderen Figur über sie näher beschrieben. Bei der Selbstdarstellung geschieht dies durch die Figur selbst. Sie macht Aussagen über sich selbst, oft während eines langen Monologes oder Dialoges. In einem weiteren Sinn zur Selbstdarstellung gehört es, wenn eine Figur sich durch ihr Verhalten verrät.
Im Gespräch mit seinem Kammerherrn Marinelli gesteht der Prinz seine Gefühle für die bürgerliche Emilia Galotti: »So bin ich verloren! – So will ich nicht mehr leben! […] Nun ja, ich liebe sie. Ich bete sie an.« (I.6) Hier handelt es sich also um figurale Charakterisierung, und zwar um Selbstdarstellung. Im gleichen Atemzug nennt er seine ehemalige Geliebte Orsini »toll« und seinen Kammerherrn »treulos«. Dies sind zwei Beispiele für Fremddarstellung. Auktoriale Charakterisierung finden wir hingegen in der Regieanweisung, mit der seine Aussage eingeleitet wird: »DER PRINZ der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft.«