Biedermeier (1815-1848)

Eines nur ist Glück hienieden,
eins: des Innern stiller Frieden.
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht'ge Schatten;
Was er nimmt, es ist so viel!

Franz Grillparzer: »Der Traum ein Leben« (Drama, 1834)

Als Biedermeier wird die Kultur des Bürgertums zwischen dem Wiener Kongress 1815 und dem Beginn der bürgerlichen Revolution 1848 bezeichnet. Die Biedermeier-Literatur setzt die klassisch-romantische Epoche im Kleinen fort, indem sie den Rückzug ins Private, Idyllische pflegt und sich unpolitisch gibt. Sie steht damit im Gegensatz zur revolutionären Tendenz des Jungen Deutschland.

Epochenbezeichnung

Der Begriff taucht erstmals um 1850 als fiktiver Name für den ebenso selbstgenügsamen wie selbstgefälligen schwäbischen Schulmeister Gottlieb Biedermaier auf. Dieser ist der Held in Gedichten, die in loser Folge in der satirischen Zeitschrift „Fliegende Blätter“ erscheinen. Der Name wird schnell populär und entwickelt sich zur polemischen Kampfbezeichnung einer spießbürgerlichen Geisteshaltung. Eine Aufwertung erlebt der Begriff um 1900 im Zusammenhang mit der Renaissance von Biedermeier-Möbeln. In dieser Zeit wird er auch erstmals als Epochenbezeichnung in der Literaturgeschichte verwendet.

Zeitgeschichte

Im Deutschen Bund, den 35 deutschen Staaten und 4 Städten unter der Führung Österreichs, werden nach dem sogenannten System Metternich die Freiheitsrechte unterdrückt und alle liberalen Regungen im Keim erstickt. Unter der Regie des österreichischen Kanzlers Metternich kommt es 1819 zu den Karlsbader Beschlüssen, die eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Überwachung der Universitäten und eine strenge Zensur zur Folge haben. Unruhen im Anschluss an die Julirevolution 1830 in Frankreich, insbesondere das Hambacher Fest 1832,  haben weitere Verschärfungen dieser Maßnahmen zur Folge.

Während Industrie und Handel florieren (1. Eisenbahn Nürnberg-Fürth 1835), das Großbürgertum immer mehr Einfluss gewinnt, verschlimmert sich die Massenarmut des Proletariats (Pauperismus). So kommt es 1844 zum Weberaufstand in Schlesien, anfangs 1848 zum kommunistischen Manifest, kurz danach zur Februarrevolution in Frankreich.  Diese führt im März zu Aufständen in mehreren deutschen Städten, die eine verfassungsgebende Versammlung in der Frankfurter Paulskirche erzwingen. Die Bildung eines vereinten, liberalen deutschen Nationalstaates scheitert aber am preußischen König Friedrich Wilhelm IV., der die Kaiserwürde nicht annehmen will. Die Nationalversammlung wird aufgelöst, die Aufstände bis 1849 gewaltsam niedergeschlagen.

Literaturepoche

Im Gegensatz zu den zeitgleich tätigen Autor/innen des Jungen Deutschland sehen die Dichterinnen und Schriftsteller des Biedermeier in ihrem Schaffen keinen radikalen Bruch zur bestehenden Literatur und Kultur. Sie verstehen sich vielmehr als Erben und Sachwalter der klassisch-romantischen Epoche. So haben sie – noch weniger als die Vertreter/innen des Jungen Deutschland – kein einheitliches Programm.

Bei aller inhaltlichen Verschiedenheit ist ihnen gemeinsam, dass sie sich in den wechselhaften Zeiten aus der Politik heraushalten und sich nach einem einfachen, harmonischen Leben im Stillen sehnen. Die Werte, die sie pflegen, sind konservativ-patriarchale: Familie, Staat, Religion, die Liebe zur Ordnung, zur Tradition und zur Heimat, ein Leben in stiller Bescheidenheit und Zurückgezogenheit. Ausufernde Leidenschaft wird dabei ebenso unterdrückt wie Kritik am System. Angesichts dieser Selbstbescheidung, der nicht eingelösten oder nicht einlösbaren Hoffnungen, liegt ein resignativer, melancholischer Grundton über der Epoche.

Adelbert Stifter bringt in der programmatischen Vorrede zu seiner Novellensammlung »Bunte Steine« das Lebensgefühl der Zeit auf den Punkt:

Ein ganzes Leben voll Gerechtigkeit, Einfachheit, Bezwingung seiner selbst, Verstandesmäßigkeit, Wirksamkeit in seinem Kreis, Bewunderung des Schönen, verbunden mit einem heiteren gelassenen Sterben, halte ich für groß: mächtige Bewegungen des Gemütes, furchtbar einherrollenden Zorn, die Begier nach Rache, den entzündeten Geist, der nach Tätigkeit strebt, umreißt, ändert, zerstört und in der Erregung oft das eigene Leben hinwirft, halte ich nicht für größer, sondern für kleiner, […]. Wir wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen, wodurch das menschliche Geschlecht geleitet wird.

Diese Bescheidenheit, die Liebe zum Kleinen, zeigt sich auch im Formalen. So beschränken sich die Autor/innen auf Lyrik (Nikolaus Lenau, Eduard Mörike) und epische Kurzformen, namentlich Novellen, kurze Erzählungen und Skizzen (Annette von Droste-Hülshoff, Adalbert Stifter). Einzig Franz Grillparzer erschafft daneben bedeutende Dramen nach Schillers Vorbild, während sich der Schweizer Jeremias Gotthelf als Schöpfer großer Bauernromane einen Namen macht.

Mit Ausnahme von Droste-Hülshoff entstammen die Autoren nicht dem Adel, sondern einfachen, bürgerlichen Verhältnissen. Mit ihrer Liebe zum Detail und zur genauen Milieustudie werden sie mitunter als Vorläufer des Poetischen Realismus betrachtet und dem Frührealismus zugeordnet.

Merkmale

Form

  • Genres:
    • Lyrik
    • Novelle, kurze Erzählung
    • Stimmungsbild, Skizze
  • schlicht im Ausdruck
  • Bemühung um klassische Form
  • genaue und detaillierte Beschreibungen
  • Betonung der bürgerlichen Tugenden: Ruhe und Ordnung

Inhalt

  • Traditionelle Werte von Familie, Staat und Religion werden verteidigt
  • Liebe zum Kleinen, Alltäglichen: Bescheidenheit, Betonung des Unscheinbaren
  • das Dämonische wird vermieden
  • Bedürfnis nach innerem Frieden
  • Unterwerfung, Resignation
  • Liebe zur Natur, Flucht in das Idyllische

Epochenübergang

Gesucht wird nicht mehr wie in der Romantik das große Glück, das unerreichbar bleiben muss. Stattdessen holt man sich gleichsam die Gegenwelt in seinen Garten, in die eigenen vier Wände. So lässt sich die Biedermeier-Epoche als Fortsetzung der Romantik, als Romantik im Kleinen, bezeichnen.

Wie die Romantik zelebrieren das Biedermeier das Leben im Einklang mit der Natur. Dämonisch-zerstörerische Züge, wie sie insbesondere die »Schwarze Romantik« kennt, sind dem Biedermeier indes fremd.

Die Autor/innen des Biedermeier leben unter denselben soziokulturellen Bedingungen wie jene des Jungen Deutschland, ziehen aber entgegengesetzte Schlüsse daraus. Statt aktiv an der Schaffung eines einheitlichen Nationalstaates zu arbeiten, enthalten sie sich jeder politischen Stellungnahme und ziehen sich zurück.

Merkwürdiges

Wie kleidet sich das gehobene Bürgertum im Biedermeier? Unbequem. Nicht nur die Frauen, auch die Männer tragen taillierte Kleidung, die so eng geschnitten ist, dass viele sich mit einem Schnürgürtel behelfen müssen. Dazu wird über dem Hemd ein Vatermörder getragen, ein steifer Kragen, der seinem Namen alle Ehre macht. Während der Vollbart als revolutionär gilt, sind Koteletts ein Muss. Ebenso Zylinder, Krawatte und Gehstock.  Noch unbequemer ist die zeitgenössische Frauenmode. Die Ärmel werden so weit aufgebauscht, dass sie einfache Tätigkeiten wie Essen oder Klavierspielen behindern. Und aufgrund der allzu stark geschnürten Taille verliert so manche Dame der gepflegten Gesellschaft vorübergehend das Bewusstsein.

Autor: Jeremias Gotthelf

1797-1854, Murten, Schweiz

Wichtige Werke

  • »Der Bauernspiegel« (Bauernroman, 1837)
  • »Uli der Knecht« (Bauernroman, 1841)
  • »Die schwarze Spinne« (Novelle, 1842)
  • »Uli der Pächter« (Bauernroman, 1849)
  • »Geld und Geist« (Roman, 1862)

Leben

Jeremias Gotthelf (Pseudonym Albert Bitzius) wurde 1797 in Murten geboren. In seiner Kindheit lernte er jene bäuerliche Welt kennen, die er später in seinen Texten beschrieb. 1820 schloss er das Theologiestudium in Bern ab und bekam eine Stelle als Pfarrer. 1836 veröffentliche er den mit dem »Bauernspiegel« den ersten seiner grossen Bauernromane. Bis zu seinem Tod 1854 setzte er sich für die allgemeine Schulpflicht ein und kämpfte gegen die Ausbeutung von Kindern.

Werk: »Die schwarze Spinne« (1842)

In der Rahmenhandlung der Novelle findet ein heiteres Tauffest auf dem Land statt. Im Kontrast zu dieser Idylle steht die Binnenhandlung: Der Großvater erzählt vom Pakt, den das Dorf im Mittelalter mit dem Teufel eingeht. Als sie dem Teufel seine Belohnung, ein neu geborenes Kind, vorenthalten, verwandelt sich die Bäuerin Christine, die den Pakt besiegelt hat, in eine unheilbringende schwarze Spinne. Erst einer gläubigen Frau gelingt es unter Einsatz ihres Lebens, das Ungeheuer einzusperren. Jahrhunderte später wird die Spinne von einem ruchlosen Knecht befreit. Christen, sein Herr, schließt die Spinne wieder ein. Auch er stirbt dabei in »Gottes Frieden«.

Textstelle I

In der Mitte der sonnenreichen Halde hatte die Natur einen fruchtbaren, beschirmten Boden eingegraben; [1] mittendrin stand stattlich und blank ein schönes Haus, [2] eingefaßt von einem prächtigen Baumgarten, in welchem noch einige Hochäpfelbäume prangten in ihrem späten Blumenkleide; [3] halb stund das vom Hausbrunnen bewässerte üppige Gras noch, halb war es bereits dem Futtergange zugewandert. [4] Um das Haus lag ein sonntäglicher Glanz, den man mit einigen Besenstrichen, angebracht Samstag abends zwischen Tag und Nacht, nicht zu erzeugen vermag, [5] der ein Zeugnis ist des köstlichen Erbgutes angestammter Reinlichkeit, die alle Tage gepflegt werden muss, [6] der Familienehre gleich, welcher eine einzige unbewachte Stunde Flecken bringen kann, die Blutflecken gleich unauslöschlich bleiben von Geschlecht zu Geschlecht, jeder Tünche spottend. [7]

  1. In der ganze Szene der Rahmenhandlung wird eine bäuerliche Idylle beschworen: Der tätige Mensch lebt in Einklang mit der Natur.
  2. Mit der Sauberkeit des Hauses wird eine bürgerliche Tugend angesprochen.
  3. Die Harmonie zwischen Mensch und Natur zeigt sich hier in der Symmetrie der doppelten Einrahmung: »In der Mitte« der Halde ist ein Boden, auf dem »mittendrin« das Haus steht, das wiederum »eingefasst« ist von Bäumen.
  4. Neben der Liebe zu detaillierten Beschreibungen zeigt sich in diesem Anfang auch das Bemühen um Ausgleich und Harmonie (Gleichgewicht zwischen Vorrat und Konsum).
  5. Hier kritisiert Gotthelf die ‚moderne‘ Geschäftigkeit, die nur eine scheinbare, oberflächliche Ordnung schafft.
  6. Die wahre Reinlichkeit zeigt sich erst, wenn sie »alle Tage«, über Generationen hinweg, gepflegt wird.
  7. Mit der »Familienehre« wird eine patriarchale Grundtugend thematisiert, die ebenfalls auf ein Leben in Zucht und Ordnung verweist.

Textstelle II

Langsam und gebeugt ging an einem Hakenstock der Großvater um das Haus […]. Auf rein gefegter Bank vor dem Hause neben der Türe saß die Großmutter, [1] schönes Brot schneidend in eine mächtige Kachel, dünn und in eben rechter Größe jeden Bissen, nicht so unachtsam wie Köchinnen oder Stubenmägde, die manchmal Stücke machen, an denen ein Walfisch ersticken müßte. [2] Wohlgenährte, stolze Hühner und schöne Tauben stritten sich um die Brosamen zu ihren Füßen, und wenn ein schüchternes Täubchen zu kurz kam, so warf ihm die Großmutter ein Stücklein eigens zu, es tröstend mit freundlichen Worten über den Unverstand und den Ungestüm der andern. [3] Drinnen in der weiten, reinen Küche [4] knisterte ein mächtiges Feuer von Tannenholz [5], in weiter Pfanne knallten Kaffeebohnen [6], die eine stattliche Frau mit hölzerner Kelle durcheinanderrührte.

  1. Die dargestellte Welt ist geprägt von patriarchalen Werten: Die Oberhäupter der Familie, Großvater und Großmutter, werden als erste eingeführt.
  2. Das Maßhalten wird betont: Alle Dinge müssen »in eben rechter Größe« sein.
  3. Leidenschaften wie »Ungestüm« sollen unterdrückt oder, wenn sie ans Licht kommen, getadelt werden.
  4. Durch die mehrmalige Wiederholung des Wortes »rein« (auf den ersten 3 Seiten 4x) wird die Ordentlichkeit des Hausstandes betont.
  5. Hier zeigt sich die biedermeierliche Liebe zum Alltäglichen und zu den eigenen vier Wänden, zum heimischen Herd.
  6. Man erkennt die charakteristische Vorliebe der Autoren für das Kleine, das in detaillierten Beschreibungen wiedergegeben wird.

Textstelle III

[Christen sperrt am Ende die Spinne wieder ein] [Christen] muss frei die Arme kämpfen, ehe es ihm gelingt, ins alte Loch die Spinne zu drängen, mit sterbenden Händen den Zapfen vorzuschlagen. [1] Er vermag's mit Gottes Hülfe. [2] Den sterbenden Blick wirft er auf die Kinder, hold lächeln sie im Schlafe. [3] Da wird es ihm leicht, eine höhere Hand schien seine Glut zu löschen [4], und laut betend schließt er zum Tode seine Augen, und Frieden und Freude [5] fanden die auf seinem Gesichte, die vorsichtig und angstvoll kamen, zu schauen, wo das Weib geblieben.

  1. Christen opfert sich hier in vorbildlicher Selbstlosigkeit für die ganze Gemeinschaft.
  2. Der Autor betont, dass die heroische Tat des Protagonisten nur durch göttlichen Beistand möglich ist.
  3. Die familiäre Idylle wird beschworen: Der verletzte Christen erkennt, dass seine Kinder wohlauf sind, und kann ruhig sterben.
  4. Schon zu Lebzeiten zeichnet sich Christen durch Gottvertrauen und Ruhe aus; hier wird seine »Glut« durch göttliche Hilfe vollends gelöscht.
  5. Das tiefe Bedürfnis der Epoche nach innerem Frieden deutet sich hier an.

Weitere Autoren

 Eduard Mörike (1798-1863)

 Annette von Droste-Hülshoff (1798-1863)

 Franz Grillparzer (1798-1863)

 Nikloaus Lenau (1802-1850)

 Adalbert Stifter (1798-1863)

Weitere Werke

Eduard Mörike: »Maler Nolten« (Novelle, 1862)

Eduard Mörike: Lyrik

Franz Grillparzer: »König Ottokar’s Glück und Ende« (Tragödie, 1862)

Annette von Droste-Hülshoff: »Die Judenbuche« (Novelle, 1862)

Annette von Droste-Hülshoff: Lyrik

Adalbert Stifter: »Bunte Steine« (Novellensammlung, 1862)

Adalbert Stifter: »Nachsommer« (Bildungsroman, 1857)